VOGEL-Interview: So kann es nicht weitergehen

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Johannes Vogel gab Zeit Online das folgende Interview. Die Fragen stellten Ferdinand Otto und Fabian Reinbold.

Frage: Herr Vogel, wie einsam fühlen Sie sich in diesen Wochen? 

Vogel: Gar nicht. Ich bin gerade Vater geworden und habe Politik für einige Wochen aus der Distanz betrachtet. Dadurch sieht man manches klarer, als wenn man im Tagesbetrieb steckt.

Frage: Ihr Generalsekretär denkt laut über eine schwarz-gelbe Koalition nach, ein großer Teil der FDP-Basis will einfach nur noch raus. Sind Sie eigentlich der letzte, der noch für die Ampelkoalition trommelt?

Vogel: Ich habe noch nie für irgendeine Koalition geworben, sondern für liberales Selbstbewusstsein. Der bisher einzige Koalitionsvertrag, der meine Unterschrift trägt, war übrigens einer mit der CDU in NRW. Die FDP sollte sich überhaupt nicht über Koalitionen definieren, sondern über das, was wir umsetzen wollen. Wenn ich auf die Lage im Land schaue, muss ich aber feststellen: So kann es nicht weitergehen. Die Koalition wird den wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen unser Land steht, im Moment leider nicht gerecht.

Frage: Sie wollen nun auch raus aus der Ampel? 

Vogel: Nein, ich will, dass sich etwas ändert. In meiner Familien-Auszeit ist mir aus der Distanz so richtig bewusst geworden, wie polarisiert und wie gereizt unsere Gesellschaft mittlerweile ist. Wir erleben Kaskaden von Krisen, erst Corona, Krieg in Europa, die Energiekrise. Zuletzt kamen ökonomische Abstiegsängste durch die Inflation dazu. Und die politischen Ränder versuchen, den Menschen einzureden, Deutschland habe seine besten Zeiten hinter sich. Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Die Menschen spüren doch, dass es der Koalition bisher nicht ausreichend gelingt, eine Politik zu machen, die der Größe der Herausforderung gerecht wird. 

Frage: Was muss die FDP dann anders machen, damit die Ampel besser läuft?

Vogel: Wir Freie Demokraten sollten nicht in erster Linie auf die Kulturkämpfe zwischen links und rechts reagieren, um uns dann in diesen zu verlieren. Wir müssen und können die gesellschaftliche Polarisierung und Verunsicherung nach vorne auflösen, wenn wir glaubhaft die Hoffnung vermitteln, dass die Zukunft durch eigene Taten wieder besser wird.

Frage: Das klingt blumig. 

Vogel: Ist es aber ganz und gar nicht. Wir müssen in der Koalition jetzt eine echte Wirtschaftswende mit allen Mitteln vorantreiben. Wenn wir einen ökonomischen Aufbruch organisieren, kann auch ein gesellschaftlicher Aufbruch gelingen. 

Frage: Wir verbinden mit der FDP derzeit eher Blockade: Lieferkettengesetz, Demokratiefördergesetz, Verbrenner-Aus, die Liste ist noch sehr viel länger. Wenn die FDP blockiert, wo sie kann, wie soll dann der Aufbruch gelingen? 

Vogel: Ich könnte jetzt erwidern, dass die Grünen Fortschritt durch Gentechnik aufhalten oder die SPD den schnelleren Zertifikatehandel beim Klimaschutz. Und rot-grüne Projekte, die Quatsch sind, werden wir immer zu verhindern versuchen. Beispiel Lieferkettenrichtlinie: Der Vorschlag schwächt sein eigenes gutes Ziel und in der jetzigen Lage wäre es Wahnsinn, die Unternehmen mit noch mehr Bürokratie zu belasten. Vernunft ist der Maßstab für die FDP. 

Frage: Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen sind sich ausnahmsweise einig: Deutschland ist derzeit nicht wettbewerbsfähig. Aber was folgt  daraus?

Vogel: Aus diesem niederschmetternden Befund muss ein echter Agenda-Moment entstehen. Denn die Folgen sind gefährlich: Geopolitisch und sicherheitspolitisch können wir uns nur dann behaupten, wenn wir wirtschaftlich stark sind.

Frage: Und trotzdem bremst die FDP dringend nötige Investitionen, weil sie auf der Schuldenbremse beharrt. 

Vogel: Die Schuldenbremse steht ja nicht nur im FDP-Parteiprogramm, sondern auch im Grundgesetz. Und unsere Wirtschaft krankt nicht daran, dass der Staat zu wenig investiert. Der aktuelle Haushalt sieht Rekord-Investitionen vor. Die Fördertöpfe der EU sind größer als der viel bemühte Inflation Reduction Act der USA. Am öffentlichen Geld fehlt es also nicht.

Frage: Woran liegt es dann?

Vogel: Unsere strukturellen Schwächen wurden lange überdeckt von Putins Gas und den niedrigen Energiekosten. Deshalb müssen wir jetzt das Angebot klimaneutraler Energie ausweiten. Zudem müssen wir die Steuern und Abgaben senken, und zwar im großen Stil. Unsere Unternehmenssteuern sind im internationalen Vergleich klar zu hoch. Weitere Beispiele: Wir sind viel zu langsam, weil die Menschen sich mit viel zu viel Bürokratie rumschlagen müssen. Der Arbeitsmarkt kann moderner, flexibler und aufstiegsorientierter werden. Die Menschen sollten selbst entscheiden können, wie sie die Wochenarbeitszeit einteilen, aber in Deutschland haben wir ein katastrophal veraltetes Arbeitszeitgesetz. Mehrarbeit lohnt sich in unserem Sozialstaat nicht immer, das muss sich ändern. Selbstständige werden in diesem Land permanent als Erwerbstätige zweiter Klasse behandelt. Und schließlich: Uns fehlen qualifizierte Einwanderer, deshalb kommt jetzt endlich das Punktesystem wie in Kanada. Aber wir brauchen auch Reformen der Systeme selbst, um die soziale Sicherung stabil zu halten.

Frage: Steuersenkungen kosten den Staat erst mal Einnahmen. Gleichzeitig will die Koalition dauerhaft deutlich mehr Geld für Rüstung ausgeben, auch wenn das Sondervermögen für die Bundeswehr aufgebraucht ist. Woher soll das ganze Geld kommen, wenn nicht aus neuen Schulden?

Vogel: Wenn Europa sicherheitspolitisch erwachsen werden soll und wir kontinuierlich das Zwei-Prozent-Ziel erfüllen wollen, dann ist das eine dauerhafte Aufgabe, die man doch nicht dauerhaft mit neuen Schulden bezahlen kann. Zuletzt ist unsere jährliche Zinslast in kurzer Zeit von sechs auf 40 Milliarden Euro explodiert. Eine Aufrüstung Deutschlands über immer neue Schulden ist nicht nachhaltig. Stattdessen müssen wir prüfen, wie wir den Bundeshaushalt umstrukturieren. 

Frage: Das heißt, das Land muss sich auf massive Verteilungskonflikte einstellen.

Vogel: Vor dem Verteilen kommt das Erwirtschaften. Und bevor wir den Kuchen verteilen, müssen wir ihn insgesamt größer machen. Damit am Ende jeder mehr bekommt. Dafür braucht es ausreichend mutige Reformen. Zum Beispiel: Wir geben heute ein Viertel des Bundeshaushalts in die Rentenkasse, trotzdem sinkt das Rentenniveau. Andere Länder schaffen höhere Renten bei weniger Steuergeld. Das können wir auch.

Frage: Das letzte Mal so unbeliebt wie jetzt war eine Bundesregierung in den Jahren ab 2010. Damals war vieles anders als heute, nur eines war gleich: Die FDP war auch da in der Regierung. Liegt es am Ende womöglich vor allem an Ihnen? Kann die FDP einfach nicht gut regieren? 

Vogel: Mein Ehrgeiz ist, das Gegenteil zu beweisen. Die Chancen als moderne liberale Partei bleiben groß, uns mehr Zustimmung zu erarbeiten. Die Gesellschaft ist liberaler als früher, das sieht man etwa bei unserem starken Abschneiden bei den Erstwählern. Aber die Lage im Land ist zugleich ungleich ernster.

Frage: Zum Schluss möchten wir Sie um ein Kompliment bitten, auch wenn es Ihnen vielleicht schwerfällt: Was haben die Grünen in dieser Legislatur besonders gut gemacht?

Vogel: Da muss ich einen Moment überlegen.

Frage: Lassen Sie sich Zeit.

Vogel: Die Kolleginnen und Kollegen der Grünen erleben bei aller berechtigten Kritik gerade oft Hass. Natürlich widerspreche auch ich vielen grünen Forderungen in der Sache hart. Aber grüne Politiker sind teils zur Chiffre für „die da oben“ geworden, für die Politik als Ganzes. Menschen, die sich in einer demokratischen Partei engagieren, werden persönlich verächtlich gemacht und teils ernsthaft bedroht. Ich habe Respekt davor, dass sich Kolleginnen und Kollegen von den Grünen davon nicht unterkriegen lassen. Demokraten dürfen nicht einknicken oder verstummen, nur weil der Protest besonders unflätig daherkommt. Wir als demokratische Wettbewerber haben die gemeinsame Verantwortung, alles zu tun, um dieser Verrohung Einhalt zu gebieten.

Frage: Und wo hat die SPD geglänzt?

Vogel: Die SPD hat eine realpolitische Wende in der Migrationspolitik vollzogen. Wir brauchen mehr Ordnung – sowohl für mehr Einwanderung von Fachkräften, als auch bei der Reduktion der irregulären Migration. Die SPD ist da pragmatischer geworden und hat auch Positionen ihrer doch sehr linken Teile hinterfragt. Da haben die Grünen noch Nachholbedarf. 

Frage: Hält die Ampel also bis zum Schluss?

Vogel: Unser Grundgesetz setzt prinzipiell auf die Stabilität von Regierungsbündnissen.

Frage: Das war kein Ja.

Vogel: Wir müssen alle Energie daransetzen, dass wir die enormen Herausforderungen des Landes lösen. Diese Koalition hat nach wie vor das Potenzial dazu. Sie muss es jetzt aber auch für eine Wirtschaftswende nutzen.